Punktmasse

(Christian Holzapfel)

   Was ist eine Punktmasse? Eine Masse, die auf einen Punkt konzentriert wurde, unendlich klein und unendlich dicht?

 

   Jede Masse hat ein Gravitationsfeld in seiner Umgebung. Nehmen wir eine Kugel, z.B. eine Billardkugel. Um die Betrachtung zu vereinfachen, nehmen wir an, die Kugel sei homogen. Nach dem Newtonschen Gravitationsgesetz ist die Gravitationskraft außerhalb der Kugel umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstandes vom Kugelmittelpunkt. Lassen wir nun die Kugel immer kleiner und kleiner werden, eine Murmel, eine Perle, ein Atomkern, ja schließlich ein Elektron, dann wird die Gravitationskraft an der Oberfläche der Kugel wegen der umgekehrten Proportionalität zum Abstand vom Kugelmittelpunkt immer stärker und stärker. Geht schließlich der Abstand gegen Null, wird die Kraft unendlich groß.

 

   Damit haben wir aber auch ein unendlich großes Problem. Eine solche Singularität ist sehr unangenehm. Man weiß nicht so recht, wie sich die Masse im Nullpunkt verhält. Sie müsste ja durch die unendlich große Kraft noch weiter zusammengedrückt werden. Dabei kann alles passieren, z.B. könnte ein Schwarzes Loch entstehen, wie wir es bei manchen Sternen vermuten. Wie wir das mathematisch beschreiben können, ist auch unklar. Durch Null dividieren dürfen wir nicht, wie wir ja schon in der Schule gelernt haben.


    Nun gibt es glücklicherweise einen Ausweg. Die Gravitationskraft ist nur außerhalb der Kugel umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstandes vom Kugelmittelpunkt. Innerhalb der Kugel wird die Kraft immer kleiner und kleiner, je näher man an den Mittelpunkt kommt. Wenn ich einen tiefen Schacht in die Erde bohre, fast bis zum Erdmittelpunkt, und mich darin an einem Seil mit den entsprechenden Messgeräten hinunterlasse, stelle ich fest, dass nur die Masse, die sich unterhalb meiner Position befindet, anziehend wirkt. Die Anziehungskraft der Kugelschale, die sich oberhalb meiner Position befindet, addiert sich aus allen Richtungen und ergibt damit Null. Hänge ich z.B. am Seil in 2000 Kilometer Tiefe, dann merke ich nur die Anziehungskraft der restlichen Erdkugel mit dem Radius 4000 Kilometer. Das ist die Masse, die sich unterhalb meiner Position befindet. Oberhalb von mir befindet sich die ganze Erdschale mit der Dicke von 2000 Kilometern. Die zieht mich natürlich auch an, aber die Kraft kommt aus allen Richtungen: über mir Europa, aber auch von der Seite China, Amerika und von unten Australien und der ganze Pazifik. Alle diese Kräfte gleichen sich aus zum Ergebnis Null. Damit haben wir als Ergebnis für eine homogene Kugel:


    Bei Abständen innerhalb der Kugel geht

die außerhalb der Kugel geltende umgekehrte Proportionalität

der Gravitationskraft zum Quadrat des Abstandes vom Kugelmittelpunkt

über in eine direkte Proportionalität zum Abstand

vom Kugelmittelpunkt.


    Außerhalb der Kugel ist die Gravitationskraft umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstandes vom Kugelmittelpunkt. Im Inneren der Kugel ist die Gravitationskraft direkt proportional zum Abstand vom Kugelmittelpunkt, d.h. es tritt bei einer Kugel mit endlichem Radius keine Singularität der Gravitationskraft auf. Wenn der Abstand gegen Null geht, geht auch die Gravitationskraft gegen Null. Die Singularität tritt nur auf im Falle einer hypothetischen Punktmasse mit dem Radius Null. Die hypothetische Punktmasse ist daher vermutlich in der Natur gar nicht realisiert; auch die kleinsten Objekte, wie Elektronen mit einer endlichen Ruhemasse, haben einen endlichen Radius, der vielleicht nicht definierbar ist, jedoch nicht gleich Null. Eine Punktmasse mit einer unendlich großen Dichte könnte nur entstehen unter dem Einfluss einer unendlich großen Gravitationskraft. Da diese fehlt, wird auch keine Punktmasse entstehen. Im Zentrum einer Kugel verschwindet die Gravitationskraft sogar.

 

     Schon aus diesen klassischen Überlegungen folgt, dass es in der Realität keine Punktmasse geben kann. Quantenphysikalische Überlegungen, bei denen die Masse als Überlagerung von Materiewellen beschrieben wird, führen zur selben Schlussfolgerung. Anders sieht es aus bei großen Massenansammlungen mit endlichem Radius. Hier können durch Sternkollaps Neutronensterne und Schwarze Löcher mit sehr großen Dichten entstehen.


     (Dez.2017)